Charlottenhöhe

Die ehemalige Volksheilstätte und Lungenheilanstalt

im Dezember 2016 und erneut im Februar 2021


Auf dem Weg durch den Wald zur einsam gelegenen ehemaligen Lungenheilanstalt Charlottenhöhe fühlt man sich unweigerlich an den Zauberberg von Thomas Mann erinnert. Wer waren die Menschen, die hier geheilt wurden, oder zumindest Linderung ihrer Leiden erfahren haben? Gab es hier wie dort eine abgeschlossene Welt eines Sanatoriums mit ihren schillernden Protagonisten? Wie haben sie die Konfrontation mit Krankheit und Tod empfunden, wenn sie mitunter mehrere Monate an diesem Ort verbringen mussten und manchmal vielleicht ahnten, dass es eventuell ihre letzte Station war?

 

Die Charlottenhöhe ist Zeugnis einer Zeit, in der man sich noch ziemlich wehrlos einer der größten Geißeln der Menschheit - aus medizinischer Sicht - ausgesetzt sah: gemeint ist die Tuberkulose. Hervorgerufen durch eine bakterielle Infektion erreichte die Tuberkulosewelle einen Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Und noch um 1880 war angeblich in der Altersgruppe der 15- bis 40-Jährigen jeder zweite Todesfall in Deutschland auf diese Krankheit zurückzuführen. Nach einem Aufflackern der Epidemie kurz nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg und der zunehmenden Resistenzbildung hält sie in letzten Ausläufern bis heute an.

 

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Luftkur, die längere Zeit als Standardtherapie bei Tuberkulose galt. Die Patienten lagen dabei mehrere Stunden täglich auf Liegestühlen im Freien oder in offenen Liegehallen. Diese Luftkur wurde in speziellen Lungenheilstätten durchgeführt.

 

Ende des 19. Jahrhunderts begann der rasante Aufstieg Schömbergs zum weit über die Region hinaus bekannten Luftkurort. So ist es nicht verwunderlich, dass die Einweihung der Lungenheilanstalt Charlottenhöhe auf das Jahr 1907 fällt. Die Einweihung fand damals in Anwesenheit des württembergischen Königspaares statt, und deshalb trägt die Volksheilstätte den Namen der Königin Charlotte.

 

In den 65 Jahren danach fanden tausende an Tuberkulose erkrankte Menschen auf der Charlottenhöhe Heilung bzw. Linderung oder fanden hier ihre letzte Lebensstation, was die Bedeutung dieser Einrichtung für die Gemeinde Schömberg, das Land Baden-Württemberg und darüber hinaus aufzeigt. Erst die Erfolge der Chemotherapie zu Beginn der 1970er Jahre führten dazu, dass die Zeit der Lungenheilanstalten abgelaufen war. Im September 1973 wurde das Sanatorium Charlottenhöhe aufgelöst. Bis in die 1990er Jahre fand sie noch Verwendung für ein Berufsförderungswerk, 1998 schloss die Charlottenhöhe GmbH ihre Pforten.

 

Zurück zu meinen Gedanken am Anfang des Weges: wie werden sich meine Erwartungen an den Ort erfüllen und wie werden sich die Emotionen mit der Kamera einfangen lassen? Vorweg gesagt: ich war Ende 2016 schon einmal hier und war erstaunt über die Veränderungen seit dieser Zeit. Natürlich gab es damals auch schon viel Zerstörung und Müll, aber das Ausmaß hat dramatisch zugenommen. Räume, die vorher noch ansatzweise meine Erwartungen an ein Sanatorium mit einer für sich in der Einsamkeit abgeschlossenen Welt erfüllt hatten, waren aktuell mit Müll übersäht und die Wände voller Graffiti. Das sich Einfühlen in das ehemalige Sanatoriumsleben fällt heute ungleich schwerer, und ich schätze in wenigen Jahren wird das völlig unmöglich geworden sein. Gerade die wenigen übrig gebliebenen Zimmer mit den noch vorhandenen Betten, Kommoden und Schränken bei noch weitgehend unberührten Wänden strahlten vor vier Jahren noch vermeintlich die Atmosphäre aus, die ich versuchte einzufangen. Hier ein paar Beispiele von vorher und nachher:

 

 

 

 

vorher

 

 

 

vorher

 

 

 

nachher

 

 

 

 

 

 

nachher

 

 

 


 

Bei allen Bildern, die wir hier vorstellen, möchte ich betonen, dass sie kein Aufruf zum Nachmachen sein sollen, aus mehreren Gründen. Der Zugang zum Gelände ist nicht umzäunt, nichtsdestoweniger handelt es sich um Privatgelände. Die Eingänge in  die Gebäude sind zwar teilweise verbrettert, aber erlauben physisch den Zutritt. Man muß wissen, dass der Zutritt nur mit Genehmigung des Eigentümers erlaubt ist. Zum anderen ist der Verfall und die Verwahrlosung weit fortgeschritten. Treppen ohne Geländer, marode Decken und viele umherliegende Glassplitter bedeuten ein nicht unerhebliches Risiko. Und wenn man trotzdem der Faszination unterliegt, sollte der oberste Grundsatz gelten: nicht die vorgefundene Ordnung verändern. D.h. nichts mit hinein nehmen, nichts beschädigen bzw zerstören und auch nichts mitnehmen.

 

Zum Schluss auch noch ein fototechnischer Rat: wir waren an einem schönen Februartag bei Sonnenschein da, aber bei einer Temperatur von ca -5° Celsius. Das hört sich nicht so dramatisch an. Ich hatte mein Stativ dabei. Die Bedienung der Kamera konnte ich jedoch nicht mit Handschuhen bewerkstelligen. Das alleine wäre nicht mal das größte Problem gewesen. Das größere Problem war, wie sich herausstellte, das Stativ, das sich im Laufe der Zeit auf die Außentemperatur abgekühlte. Ursprünglich hatte ich gehofft, mit meinem Manfrotto 055 Carbon hätte ich das einigermaßen im Griff. Aber auch die Carbon-Beine kühlten sehr stark herunter. Was geholfen hat, waren Fingerhandschuhe, die die Fingerspitzen freilassen. Dadurch hat das Tragen des Stativs nicht den ganz so unangenehmen Effekt. Es gibt auch Stative, die eine Kunststoffummantelung an den Griffstellen für das Tragen vorweisen, z.B. das Manfrotto 190 XPROB. Diese wären hier sicher besser geeignet gewesen. Leider besitze ich momentan nur das eine, das durch das Carbon zwar leicht ist, aber für mich in dieser Kälte doch eine Herausforderung war.


Haben Gebäude ein Recht auf  Würde? auch wenn sie verfallen? oder gerade dann..

Noch spürt man die Geschichte der Charlottenhöhe, noch lassen die Zimmer, die Flure, die Treppen Geschichten erahnen. Badezimmer mit Badewannen, die etwas Schauerliches in sich tragen. Duschkabinen aus den 70ger Jahren, die mal praktisch waren, heute aber nur noch billig wirken. Treppenhäuser die eine alte Eleganz ausstrahlen - und dann die große Küche, die als einer der wenigen Räume eine gewisse Heiterkeit ausstrahlt. Wohl auch weil die Backöfen einem den Duft von frisch gebackenem Kuchen um die Nase wehen lassen. Im Gegenzug all diese Zerstörung. Kaum ein Fenster ist noch intakt, der Boden komplett mit Scherben übersäht, alte Zeitungen und Aktenordner liegen zerfleddert überall herum, Waschbecken sind aus den Wänden gerissen. Die Zimmer mit den noch vorhandenen Betten geben einen Eindruck wieder von dem, was damals wohl mal eine Privatstation war. Genauso wie die abgegrenzten großzügigen Wohnräume, die vielleicht mal von einer Chefarztfamilie bewohnt wurden. Räume für Privilegierte, die an alte Filme erinnern.

Es fällt mir schwer mich hier aufs Fotografieren zu konzentrieren. Ich muß mich überwinden, um eine andere Perspektive zu finden, um mich inmitten der Verschmutzung hinzuknien, um Details richtig "in Szene zu setzen". Und doch gibt es auch die schönen Momente: der Vorhang, der im Wind weht, die wunderschön gearbeitete Decke im Flur,  die Wärme in der  kleinen Küche.

Es ist ein Projekt, das Wehmut in mir zurücklässt. Das mich auch erschreckt angesichts der Zerstörung, die allein in den letzten 4 Jahren hinzugekommen ist.